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22 Jul 2021 in Frankfurter Allgemeine Zeitung
José Luís da Cruz Vilaça comments statement of the former President of the German constitutional court

José Luís da Cruz Vilaça, managing partner at CVA, was invited by the Frankfurter Allgemeine Zeitung to comment the recent statement of the former President of the German Constitutional Court Andreas Voßkuhle, concerning the infringement procedure initiated by the European Commission against Germany, regarding the May 2020 "PSPP" judgment of the Constitutional Court. 

Andreas Voßkuhle stated that the infringement procedure must solely aim at introducing a European Federal State “the cold way”, transfering the "competence of competences ('Kompetenzkompetenz') to Brussels, through the “collusive cooperation between EU institutions and the ECJ”. 

José Luís da Cruz Vilaça, former Judge and Advocate-General at the Court of Justice of the European Union (ECJ) and former President of the Court of First Instance (now the General Court), commented the above statement in the following way: “I fail to see any legal argument in former President Vosskuhle's statements in support of his antipathy towards the Court of Justice and the jurisprudence it dislikes. This is a political position that he is now free to choose, like any citizen. But I regret that he does so on the basis of assumptions about the presumed hidden intentions of the Court of Justice. The Court is simply faithful to the mandate conferred on it by the Treaties to preserve the rule of law and the integrity of the Union's legal order, and I can assure you that it will continue to be so, without ever exceeding the limits of its powers.”

Pleae find below the complete version of the article published on the Frankfurter Allgemeine Zeitung. To access it on the newspaper's website, click here

 

Verdeckte Zentralisierung?

EU-Kommission gegen Voßkuhle-Vorwürfe

CDU, Grüne und SPD kritisieren den früheren Verfassungsrichter Voßkuhle. Der hatte behauptet, die EU-Kommission wolle „auf kaltem Wege“ in Europa „den Bundesstaat" einführen.

Andreas Voßkuhle, bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat mit Mutmaßungen über angebliche verdeckte Zentralisierungspläne von EU-Kommission und Europäischem Gerichtshof (EuGH) scharfe Kritik geerntet. In einer Diskussion am 29. Juni hatte er behauptet, die Kommission wolle „auf kaltem Wege“ in Europa „den Bundesstaat“ anstelle des jetzigen loseren Staatenverbundes einführen. Dies sei die „tiefere Motivation“ eines Vertragsverletzungsverfahrens, das sie im Juni gegen Deutschland eingeleitet hat. Die Kommission selbst begründet ihr Verfahren allerdings damit, dass das Bundesverfassungsgericht  2020 unter Voßkuhles Vorsitz ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verworfen hat. Das verletzt ihrer Ansicht nach den Grundsatz vom Vorrang des EU-Rechts. Karlsruhe hatte seinerzeit ein billigendes Urteil des EuGH zu Krediten der Europäischen Zentralbank an europäische Länder als „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“ bezeichnet.

Voßkuhle hat bei der Diskussion im Juni außerdem von „kollusivem Zusammenwirken“ zwischen den EU-Institutionen und dem EuGH gewarnt . „Kollusion“ ist in der Juristensprache eine unerlaubte Zusammenarbeit zum Schaden Dritter. 

Die Vizepräsidentin der Kommission Vera Jourova sagte der F.A.S., die Kommission wolle mit ihrem Verfahren gegen Deutschland nur die Verträge der EU schützen, und „nichts anderes“. Die Verträge müssten überall gleich gelten. Deshalb müsse das letzte Wort über EU-Recht beim EuGH liegen. „Sonst begeben wir uns auf den Weg zu einem Europa ,à la carte”, und das könne auf lange Sicht “die Fundamente der EU selbst untergraben“.

„Die Axt an die Rechtsgemeinschaft“

Eine schärfere Zurückweisung kam vom früheren Richter am Europäischen Gerichtshof Jose Luis da Cruz Vilaca. Der ließ wissen, Voßkuhles “Antipathie” gegen den EuGH beruhe auf “keinerlei juristischen Argumenten”. Leider fuße dessen „politische” Position auf bloßen „Vermutungen über mutmaßliche geheime Absichten” des Gerichtshofes.

Auch deutsche Politiker nahmen Anstoß. Heribert Hirte (CDU), der Vorsitzende des Unterausschusses Europarecht im Bundestag, nannte Voßkuhles Wort vom „kalten Weg“ zum Bundesstaat „außerordentlich unglücklich“. Die naturgegebene Spannung zwischen EUGH und nationalen Verfassungsgerichten könne nur durch Dialog gelöst werden „und nicht durch harsche Worte“. Außerdem impliziere die Formel von der „kollusiven Zusammenarbeit“ zwischen europäischen Institutionen und dem EuGH „eine fehlende Unabhängigkeit“ des Gerichts. Das lege „die Axt an die europäische Rechtsgemeinschaft.“

Noch schärfer reagierten die Grünen. Deren Obfrau im Europa-Ausschuss des Bundestages, Franziska Brantner, nannte den Vorwurf der Kollusion eine „ruchlose Unterstellung gegenüber der Kommission und dem EuGH“. Das Vertragsverletzungsverfahren der Kommission führe „weder zu einem europäischen Bundesstaat noch zur Abschaffung Deutschlands“. Es sei gut, dass die Kommission diese Spannung zwischen nationalen und europäischen Gerichten „nicht schwelen lässt, sondern sie im vorgesehenen Rahmen auflösen will“. Sonst könnten Polen oder Ungarn „Unklarheiten für ihre Ziele nutzen und die europäische Rechtsgemeinschaft aushöhlen.“

„Die eigene Denkweise entlarvt“

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments Katarina Barley (SPD) wies auf eine weitere Passage aus Voßkuhles Beitrag hin: seine Behauptung, das italienische Verfassungsgericht hätte über die Kredite der Europäischen Zentralbank sicher nicht so entscheiden wie Karlsruhe, und zwar „weil die Interessen von Italien da irgendwie anders sind“. Die frühere Bundesjustizministerin sagte, mit solchen „abschätzigen Bemerkungen“ über italienische Kollegen entlarve Voßkuhle nur „seine eigene Denkweise“  und das Karlsruher Urteil als „politische Entscheidung“.

Ein Vorschlag zur Vermeidung künftiger Konflikte kam von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europaparlament. Zu dieser Fraktion gehören auch CDU und CSU. Weber schrieb der F.A.S., es gebe in diesem Spannungsfeld „nicht nur schwarz oder weiß“. Beide Gerichte, das Bundesverfassungsgericht wie der EuGH,  hätten zentrale Aufgaben und aus ihrer Sicht Recht. „Der EuGH muss die einheitliche Anwendung des EU-Rechts durchsetzen. Und das Bundesverfassungsgericht muss die Einhaltung des EU-Vertrages und des Grundgesetzes garantieren.“ Es sei ein Defizit des heutigen EU-Vertrags, dass keine Schlichtungs- oder Kompetenzentscheidungsinstanz vorgesehen sei, die solch tiefgehende Konflikte klären könne. „Dafür wäre beispielsweise ein Kompetenzgerichtshof sinnvoll“. Eine solche Instanz müsse von allen akzeptiert sein.


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